Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,683856,00.html

Hunderte deutsche Soldaten leiden an Kriegstraumata

Der Afghanistan-Krieg setzt der Bundeswehr zu. Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten enthüllt: Die Ausrüstung ist zu schlecht, immer mehr Soldaten leiden unter psychischen Erkrankungen. Die Truppe solidarisiert sich außerdem mit Oberst Klein - der den umstrittenen Bombenbefehl von Kunduz gab.

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Berlin - Rund 4500 Soldaten der Bundeswehr sind zurzeit in Afghanistan stationiert - immer mehr von ihnen belastet der Einsatz erheblich. Sie leiden unter schweren psychischen Belastungen.

Im vergangenen Jahr wurden 466 Soldaten wegen posttraumatischer Belastungsstörungen behandelt. Damit habe sich die Anzahl der Erkrankten im Vergleich zu 2008 fast verdoppelt, schreibt der scheidende Wehrbeauftragte des Bundestags, Reinhold Robbe.

Der SPD-Politiker stellte am Dienstag seinen Jahresbericht 2009 vor - und präsentierte erschreckende Defizite bei der Bundeswehr. In den deutschen Streitkräften gebe es eine unübersichtliche Führungsstruktur, zu viel Bürokratie, Reibungsverluste sowie eine veraltete Planung für den Einsatz von Material und Personal. In einem Interview wies er auf den Mangel an Militärärzten hin: 600 Mediziner würden akut gebraucht. Eine Modernisierung der Streitkräfte sei unverzichtbar.

Besonders große Missstände sieht Robbe in Afghanistan. Fast 90 Prozent der psychisch erkrankten Soldaten gehörten zur Internationalen Schutztruppe Isaf. Zum einen seien mehr Soldaten als früher im Einsatz. Zum anderen gebe es am Hindukusch, vor allem im Raum Kunduz, kriegsähnliche Verhältnisse. Robbe zufolge würden in der Truppe "psychische Erkrankungen nach wie vor als stigmatisierend empfunden und von den Betroffenen insbesondere aus Angst vor persönlichen Nachteilen nicht offenbart".

Die in Afghanistan stationierten Soldaten klagen laut Robbe auch über Mängel bei ihrer Ausrüstung. Es gebe zu wenig geschützte Fahrzeuge. "Die ohnehin angespannte Situation verschärft sich, sobald Fahrzeuge nach Unfällen oder Anschlägen ausfielen, weil für diese Fahrzeuge kein Ersatz verfügbar war", heißt es in dem Bericht des Wehrbeauftragten. Neben einer zu geringen Anzahl von Fahrzeugen hätten die Soldaten auch darauf hingewiesen, dass bestimmte Fahrzeuge nicht für den Einsatz im Gefecht geeignet seien.

Aufsehen erregte zuletzt die Nachricht, dass 122 von der Bundeswehr bestellte Helikopter erhebliche Mängel aufweisen. Experten des Heeres kamen der "Bild"-Zeitung zufolge zu einem ernüchternden Urteil: Der Mehrzweckhubschrauber NH 90 ist demnach nur bedingt tauglich. Der SPIEGEL berichtete Ende vergangenen Jahres über die Versäumnisse bei der Anschaffung von Patrouillenfahrzeugen. Über Monate hatten Abgeordnete im Interesse deutscher Rüstungsunternehmen den Kauf von Wagen verzögert, die dringend für den Afghanistan-Einsatz benötigt werden.

Für die Modernisierung fehlt das Geld

Für den Schutz der Soldaten dürfe fehlendes Geld kein Argument sein, sagte Robbe. Die Sicherheit sei "nicht optimal", mahnte er in der ARD. Dort plädierte er auch für einen stärkeren Rückhalt für die Truppe in der Bevölkerung. Viele Angehörige der Bundeswehr litten darunter, von ihren Mitbürgern zu wenig Mitgefühl zu erfahren. Langfristig könnten Soldaten nur dann vernünftig ihren Dienst tun, wenn sie moralisch unterstützt würden.

Robbe thematisierte auch das verheerende Bombardement von Kunduz. Dies habe erhebliche Auswirkungen auf alle Ebenen der Bundeswehr gehabt. Es gebe in der Truppe viel Unterstützung für den Bundeswehr-Oberst Georg Klein, der den Angriffsbefehl gegeben hat.

Er habe in den Streitkräften "keine einzige Stimme" vernehmen können, die sich nicht mit Klein solidarisch gezeigt habe, schreibt Robbe. Die Reaktionen hätten von menschlicher Sympathie für Klein über Verständnis für eine schwierige und folgenreiche Entscheidung bis hin zu Respekt für einen damals notwendig erscheinenden Schritt gereicht. Bei dem Bombardement waren am 4. September 2009 bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt worden. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags klärt derzeit die Hintergründe des Angriffs auf.

Laut Robbe gab es auch Beschwerden über sexuelle Belästigungen und frauenfeindliche Einstellungen. "Leider bleiben Vorfälle, die antiquierte und mit Vorurteilen belastete Anschauungen offenbaren, nach wie vor nicht aus." Im Januar 2000 hatte der Europäische Gerichtshof mit einem Urteil Frauen den Dienst an der Waffe erlaubt. Im vergangenen Jahr leisteten durchschnittlich 16.495 Frauen bei der Bundeswehr ihren Dienst. Ihr Anteil an den Berufs- und Zeitsoldaten stieg im Vergleich zum Jahr 2008 von 8,4 auf 8,7 Prozent.

Robbe erhielt nach eigenen Angaben erneut Zuschriften, in denen es auch um Diskriminierung von Soldaten wegen Homosexualität ging. "Auch wenn nach nunmehr geltender Rechtslage jede Benachteiligung von homosexuellen Soldatinnen und Soldaten untersagt ist, kann eine faktische Benachteiligung nicht absolut ausgeschlossen werden", so der Wehrbeauftragte.

Die entwürdigenden Rituale bei den Gebirgsjägern und in anderen Teilen der Bundeswehr sind nach Einschätzung von Robbe Einzelfälle. Die bisherigen Untersuchungen hätten ergeben, dass die bekannten Fälle nicht "die Spitze des Eisbergs" seien, sondern nur an wenigen Standorten stattgefunden hätten.

Robbes letzter Jahresbericht

Es ist Robbes letzter Jahresbericht als Wehrbeauftragter, er scheidet im Mai aus dem Amt. Sein Nachfolger soll der FDP-Politiker Hellmut Königshaus werden. Um die Nachbesetzung des Postens hatte es zuvor eine Kontroverse gegeben. Viele Bundestagsabgeordnete hatten sich für eine zweite Amtszeit des SPD-Politikers Robbe ausgesprochen. Die Liberalen hatten sich aber in den Koalitionsvereinbarungen das Vorschlagsrecht für den wichtigen Posten des Wehrbeauftragten gesichert. Sie entschieden sich für Königshaus, nachdem die FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff sich nach den Querelen um die Besetzung zurückgezogen hatte.

Der Wehrbeauftragte gilt als "Anwalt der Soldaten" und hilft dem Parlament zugleich bei der Kontrolle der Streitkräfte. Er wird auf Weisung des Parlaments oder des Verteidigungsausschusses tätig.