Die Lust am Quälen

Fuxtest, Rotarsch-Ritual, Jukebox-Spiel: Bei der Bundeswehr wurden neue Fälle von entwürdigenden Initiationsriten bekannt. Typisch ist, dass diese mit der Zeit immer maßloser werden.
Von FOCUS-Online-Redakteurin Christina Steinlein

Der Bundestags-Wehrbeauftragte Reinhold Robbe hat gesammelt: Den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses legte er insgesamt 23 Zuschriften vor, in denen sich ehemalige Soldaten über Exzesse bei der Bundeswehr beschwerten.

Mitte Februar war der erste Fall bekannt geworden: Beim Hochzug der Gebirgsjäger in Mittenwald mussten Neulinge den sogenannten Fuxtest über sich ergehen lassen. Dazu zählte, Rollmöpse und rohe Schweineleber zu essen, das alles mit viel Alkohol runterspülen – an sich noch nicht besonders eklig. Aber zu all dem servierten die ranghöheren Soldaten frische Hefe. Diese sorgt, vor allem in Verbindung mit Alkohol, dafür, dass die jungen Soldaten sich sehr schnell und sehr heftig übergeben mussten. Der ehemalige Wehrdienstleistende, der dieses Ritual als entwürdigend empfand und sich beim Bundestags-Wehrbeauftragen darüber beklagte, hat damit eine Lawine losgetreten. Allein zu den Vorkommnissen in der Edelweiß-Kaserne in Mittenwald hat Robbe 54 Zuschriften erhalten.Kein Einzelfall in Mittenwald


Die anderen Schreiben, die Robbe nun den Abgeordneten vorlegte, zeigen, dass die merkwürdigen Initiationsriten der Elitetruppe in Mittenwald kein Einzelfall waren. Bei den Gebirgsjägern in Bischofswiesen-Strub, aber auch bei der Marine seien solche Aufnahmerituale gang und gäbe. In einer Email, die Robbe den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses zeigte, wird erwähnt, dass es die Rituale „bis vor einiger Zeit“ auch in Bad Reichenhall gegeben habe.

„Diese Prüfungen tragen die typischen Merkmale eines Initiationsritus“, erklärt Sabine Doering-Manteuffel. „Das ist nichts Singuläres und geschieht nicht nur in der Bundeswehr und in Studentenverbindungen, bei denen solche Aufnahmerituale ebenfalls bekannt sind“, sagt die Professorin für Europäische Volkskunde an der Universität Augsburg. „Bei Initiationsriten handelt es sich um eine anthropologische Konstante. Wir finden sie in fast allen Gesellschaften, auch in Stammeskulturen.“
 

Aufnahmeprüfung für Stammeskrieger

Gruppendruck und Zugehörigkeitswünsche bringen die Soldaten dazu, schmerzhafte und erniedrigende Tests über sich ergehen zu lassen, wie etwa das „Jukebox-Spiel“, von dem ein ehemaliger Obergefreiter Robbe berichtete. Dabei werde ein Soldat in seinen Spind eingeschlossen und darin dann umgestoßen, während er bestimmte Lieder singen müsse.

Die Wenigsten widersetzen sich solchen „Spielen“. Der psychologische Mechanismus dahinter ist einfach: „Die jungen Männer demonstrieren durch die freiwillige Aufgabe der Kontrolle, durch den maximalen Kontrollverlust, dass sie die Bedeutung der Zugehörigkeit zur Gruppe über ihr eigenes Wohlbefinden, ihre Bedürfnisse stellen. Nur so werden sie akzeptiert“, sagt Psychologin Felicitas Heyne. „Diesen Preis bezahlen sie wie einen Clubbeitrag, danach gehören sie dazu.“
 

Berühmte psychologische Experimente


„Die Hauptfunktion solcher Initiationsriten besteht darin, dass sie eine starke Identifikation mit der Gruppe ermöglichen“, bestätigt Ethnologin Doering-Manteuffel. Verschiedene Faktoren begünstigen ein solches System, etwa die strenge Hierarchie, das starke Eingebundensein innerhalb der Gruppe. „Außerdem spielt die Persönlichkeit eine große Rolle. Je wichtiger die Anerkennung der anderen, je schwächer das Selbstwertgefühl, umso weniger kann man sich einem solchen Gruppendruck entziehen“, erläutert Heyne. Berühmte psychologische Experimente beweisen, dass nur extrem wenige Menschen in der Lage sind, sich einem solchen Zwang zu widersetzen.

Auch der ehemalige Wehrdienstleistende, der sich als erster beschwert hatte, durchlief den „Fuxtest“ in Mittenwald, und zwar freiwillig. Beschwert hat er sich erst Monate nach Ende seines Wehrdienstes, nachdem für ihn keine Sanktionen der Gruppe mehr drohten. Nachdem einer nun den Anfang gemacht hat, finden sich bei dem Bundeswehrbeauftragten Robbe mehr Schreiben ein. Ein Soldat, der vor 20 Jahren auf einem Marine-Zerstörer eingesetzt war, schrieb vom sogenannten „Rotarsch-Ritual“: „Eine Bohnermaschine (eine mobile Maschine mit einer großen elektrisch betriebenen Borstenscheibe) wurde in Betrieb gesetzt und dem Rekruten an den nackten Hintern gehalten, bis dass dieser rot war.“
 

Warum die Quälerei immer exzessiver wird

Die Vorwürfe zum Fuxtest in Mittenwald sind inzwischen Gegenstand der Justiz. Nach internen Ermittlungen der Bundeswehr gab es bereits seit Ende der 80er-Jahre zunächst relativ harmlose Initiationsrituale, die sich offenbar immer heftiger entwickelten. Ab 2001 ist die Stimmung offenbar gekippt, und die Rituale nahmen an Härte zu. Vor allem ehemalige Soldaten hätten sich immer neue Methoden ausgedacht. „Sowas schaukelt sich schnell hoch“, erklärt Psychologin Heyne. „Wer solche Tests überstanden hat, ist so erleichtert darüber, dass er derartige Rituale kaum mehr in Frage stellt. Jede Generation setzt eins obendrauf.“

Initiationsriten werden noch aus einem zweiten Grund immer schlimmer, stellt auch der Psychotherapeut Jürgen Raithel in einer wissenschaftlichen Arbeit fest: „Neue Formen von Mutproben sind eher der Versuch, in einer reizüberfluteten und reizgesättigten, aber auch reizdesensibilisierten Gesellschaft dennoch neue Reize zu finden, die dem Charakter einer Mutprobe weiterhin entsprechen.“ Dem stimmt Heyne zu: „Die Reizschwelle wird beständig angehoben. Noch vor zwanzig Jahren wäre eine Sendung wie das Dschungelcamp undenkbar gewesen. Heute schockt so was niemanden. Die Gesellschaft passt sich erstaunlich schnell an.“

Der Bundestags-Wehrbeauftragte Robbe wird voraussichtlich an diesem Mittwoch vor dem Verteidigungsausschuss zu den neuen Erkenntnissen Stellung nehmen. Zuvor wolle er in der Öffentlichkeit keinen Kommentar dazu abgeben, sagte er. „Selbstverständlich müssen alle zusätzlich eingegangenen Hinweise überprüft werden.“ Erst dann könne eine Bewertung vorgenommen werden.