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Soldaten der Bundeswehr – Verteidiger des Rechts

von Gerhard Stöhr

 

Das Prinzip des „Primats der Politik“ ist unverzichtbar in einer freiheitlichen Demokratie. Was unsere Streitkräfte mit den sie strategisch beherrschenden Verfassungsorganen Regierung und Parlament jedoch im Kern verbindet, ist ihre gemeinsame und umfassende Bindung an Recht und Gesetz.

Mit nachstehender Abhandlung sollen die tragenden Normen und Prinzipien des Wehr- und Einsatzrechts der Streitkräfte in ihren Zusammenhängen und Problemlagen dargestellt und das „System Soldat“ in seiner Funktion als Verteidiger des Rechts näher beleuchtet werden.


 

Der Verfassungsrahmen

Der deutsche Soldat ist als Angehöriger der Exekutive des Bundes Teil der Staatsgewalt und im Rahmen der dieser übertragenen Ermächtigungen Träger qualifizierter Hoheitsgewalt.

Artikel 87a Absatz 1 des Grundgesetzes bestimmt, dass der bundesstaatlichen Ebene Bund unseres Gemeinwesens die ausschließliche Befugnis zukommen soll, Streitkräfte aufzustellen. Ihr primärer Zweck ist mit „Verteidigung“ beschrieben, worunter nach herrschender Meinung sowohl der Schutz der Unversehrtheit des Staatsgebietes, als auch der Staatsgewalt sowie des Staatsvolkes der Bundesrepublik zu verstehen ist[1].

Eine Beschränkung auf das Staatsgebiet Deutschlands für die Vornahme von Verteidigungshandlungen durch die Streitkräfte kennt das Grundgesetz nicht[2]. Die Streitkräfte können demnach im Ausland auch zum Schutz von Trägern der Staatsgewalt, wie auch von deutschen Staatsbürgern eingesetzt werden[3].

Mit dem verfassungsrechtlichen Hauptauftrag der Streitkräfte korrespondiert die gesetzliche Grundpflicht des deutschen Soldaten, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen[4].

Den Willen der Väter des Grundgesetzes, wonach Deutschland gerade aufgrund seiner Geschichte berufen ist, den Frieden auf der Welt herbeizuführen und zu sichern, setzt die Ermächtigung im Artikel 24 Absatz 2 der Verfassung um.

Danach können die Streitkräfte neben ihrem Verteidigungsauftrag auch zur Abwehr und Beseitigung von Bedrohungen des Weltfriedens zum Einsatz kommen[5]; dies jedoch nicht unilateral, sondern nur im Rahmen und nach den Regeln von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit[6].

Den verfassungsmäßigen Ermächtigungsgrundlagen für Einsätze der Streitkräfte im Ausland ist gemeinsam, dass das Grundgesetz für diese Fälle keine Beschränkung für die Anwendung von Gewalt formuliert. Militärische Gewalt umfasst ihrer Natur nach und systemgemäß auch die Anwendung tödlicher Mittel. Dies unterscheidet sie von der Polizeigewalt und macht auch erklärlich, warum der Einsatz der Streitkräfte und die Anwendung militärischer Gewalt innerhalb Deutschlands nur in dezidierten Ausnahmefällen legitimiert ist[7].

Als Mittel staatlichen Machtanspruches findet militärische Gewalt einen begrenzenden Rechtsrahmen lediglich in den völkerrechtlichen Vorgaben und dem politischen Willen der Regierung, welcher sich in einem Kabinettsbeschluss manifestiert und der grundsätzlich der vorherigen Zustimmung des Deutschen Bundestages bedarf[8].

Das in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegte Gewaltverbot findet ihre Ausnahmen im Recht der Staaten auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 und in den Mandaten des Sicherheitsrates nach Artikel VII der VN-Charta.

Soweit der Sicherheitsrat die Staaten in einem Beschluss zur „Anwendung aller erforderlichen Mittel, einschließlich militärischer Gewalt“ ermächtigt, kann der jeweilige Auftrag kraft völkerrechtlicher Legitimation auch mittels Kriegswaffen durchgesetzt werden.


 

Gewaltmonopol und Strafecht

Nach den historisch gewachsenen Grundprinzipien des deutschen Strafrechts erfüllt auch die staatlich legitimierte Anwendung von Gewalt zunächst Tatbestände nach dem Strafgesetzbuch. Die erfolgreiche Teilnahme an Kampfhandlungen eines Soldaten macht diesen also regelmäßig und automatisch zum Täter etwa des Totschlags, der schweren und gefährlichen Körperverletzung, der Sachbeschädigung, der Brandstiftung und der Nötigung.

Das grundlegende Prinzip, wonach dem Staat die ausschließliche Aufgabe zugewiesen ist, die Freiheitsrechte der Bürger, also Sicherheit und Ordnung des Gemeinwesens zu garantieren, macht diesen zum alleinigen Träger legitimierter Gewaltanwendung, also zum Inhaber des sog. Gewaltmonopols.

Naturgemäß hat sich der demokratisch und freiheitlich strukturierte Staat bei der Anwendung von Gewalt schon deshalb stets zu rechtfertigen, weil jede hoheitliche Handlung zugleich einen Eingriff in die Rechtssphäre des Bürgers darstellt. Gerade im demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Staat gilt jedoch für die Angehörigen der Staatsorgane die generelle Vermutung, dass sie immer dort zur Gewaltanwendung legitimiert sind, wo dies zur Durchsetzung ihrer Aufgaben erforderlich ist.

Die entscheidende Dialektik des staatlichen Gewaltmonopols ist eine Doppelte. Nämlich, dass jede Gewaltanwendung dem gesetzlich normierten Gemeinwohl, also der Herstellung von Sicherheit und Ordnung dient und dass der Bürger sich darauf verlassen kann, dass seine Sicherheitsorgane auch in der Lage sind, jegliche denkbare Gefahrenlage sicher zu beherrschen.

Da die Verwirklichung strafrechtlicher Tatbestände für den Inhaber des Gewaltmonopols stets durch verfassungsrechtliche oder gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen legitimiert wird, ist das entsprechende Handeln der Hoheitsträger systemgemäß gerechtfertigt und von vorneherein als straflos zu bewerten. Dies ist schon deshalb bedeutsam, weil der Hoheitsträger bei der Gewaltanwendung generell mit Vorsatz, also bewußt und gewollt handelt.

Diesen grundlegenden Prinzipien demokratisch und rechtsstaatlich legitimierter Anwendung hoheitlicher Gewalt steht jedoch eine gesellschaftliche Entwicklung entgegen, die im Verzicht des Staates auf hoheitliche Handlungsformen einen Fortschritt sieht und jeglicher Form von Gewaltanwendung von Sicherheitsorganen den Odem der Unverhältnismäßigkeit andichtet.

Wo jedoch das Gemeinwohl und die Verteidigung der Werte Sicherheit und Ordnung als abstrakte Begründung für die Durchsetzung staatlicher Aufgaben mittels Gewaltanwendung nicht mehr akzeptiert wird, neigt der einzelne Angehörige der Staatsgewalt zwangsläufig dazu, die Anwendung von Gewalt auf diejenigen Fälle zu beschränken, wo er selbst unmittelbar und gegenwärtig gefährdet wird, also auf Situationen der Notwehr.

Die Notwehr ist jedoch ein sog. „Jedermann-Recht“, das nur für diejenigen Fälle Platz greift, in denen das Gewaltmonopol des Staates die Sicherheit nicht gewährleisten konnte und der Bürger nunmehr seine Rechtsgüter wieder eigenhändig schützen muss.

Dass man das Handeln der Staatsorgane bereits in der breiten Öffentlichkeit anhand der Grundsätze für die „Jedermann-Rechte“ bewertet, macht einen deutlichen Mangel an Verständnis für die Funktion und Handlungsmaximen der Träger des Gewaltmonopols in Deutschland deutlich: Hoheitsträger sind eben nicht „Jedermann“ und handeln niemals aus Eigenmacht, sondern ausschließlich kraft gesetzlicher Legitimation!


 

Gesellschaftliche Akzeptanz

Die Lagefeststellung ist deutlich: Das staatliche Gewaltmonopol in Deutschland hat sich im allgemeinen Verständnis aufzulösen begonnen. Und dieser Prozeß wird von einem stetig wachsenden Gefühl der Unsicherheit der Bürger im Hinblick auf die Handlungsfähigkeit ihrer Sicherheitsorgane begleitet. Denn deren Angehörige können sich der Geltung der für sie geschaffenen Ermächtigungsgrundlagen nicht mehr sicher sein, wenn das Primat der Politik selbst nicht mehr eindeutig hinter ihrer Anwendung steht.

Während die Organe der Inneren Sicherheit, also die Beamten der Polizeien der Länder und des Bundes, mit einer schwindenden Akzeptanz staatlicher Gewaltanwendung konfrontiert sind, war die Möglichkeit eines legitimierten Gebrauchs militärischer Gewalt durch die Streitkräfte bislang jeglicher politischer Gedankenwelt von vorneherein entzogen.

Zu tief saß die historisch bedingte Überzeugung, dass Einsätze der Streitkräfte in der Bevölkerung regelmäßig keine Mehrheit finden würde und dem durch staatlichen Zwang rekrutierten Soldaten eine Gefährdung außerhalb des Verteidigungsfalls keinesfalls zugemutet werden könne.

Und nur so ist verständlich, dass die Teilnahme von Grundwehrdienstleistenden an Auslandseinsätzen von Anfang an nur freiwillig erfolgen durfte, obwohl das Bundesverfassungsgericht die diesbezügliche Pflicht zum treuen Dienen gleichermaßen für alle Statusgruppen festgestellt hatte.

Das Primat der Politik tut sich offensichtlich schwer mit dem eigentlichen Auftrag seiner Streitkräfte, wo immer erforderlich und erlaubt auch militärische Gewalt anzuwenden.

Im Gegensatz dazu sind die Entscheidungen der Justiz im Bezug auf die Möglichkeit der Verwendung der Streitkräfte als bewaffnete Macht des Bundes von erfrischender Eindeutigkeit:

Wie selbstverständlich erläutert das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1994, dass die Bundesrepublik mit ihrem Beitritt zu den friedenserhaltenden Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit nach dem seit 1949 geltenden Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht nur entsprechende Beteiligungspflichten übernommen hat, sondern damit gleichzeitig berechtigt ist, die Streitkräfte im Rahmen und nach den Regeln dieser Systeme auch einzusetzen[9].

Nicht von ungefähr formuliert das Grundgesetz in Artikel 87a Absatz 2, dass die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit die Verfassung dies ausdrücklich zulässt.

Dem verfassungsändernden Gesetzgeber war folglich die Bedeutung des Gebrauchs militärischer Gewalt durchaus bewusst, ausgehend von dem logischen Prinzip, wonach der Einsatz militärischer Mittel sich stets aus der Wahrnehmung des verfassungsmäßigen Auftrags ableiten muss, also ein Einsatz von Streitkräften immer nur dort erfolgen darf, wo der Gebrauch militärischer Gewalt durch eine Gefahr für höchstrangiger Werte auch gerechtfertigt ist.

Jegliches Handeln der Streitkräfte im Einsatz ist also durch die Wahrnehmung seines verfassungsmäßigen Auftrages legitimiert, soweit es diesem zu dienen bestimmt ist.


 

Befehl und Gehorsam

Für den einzelnen Soldaten konkretisiert sich der abstrakte Auftrag der Regierung durch die Befehle seiner Vorgesetzten, auf deren Rechtmäßigkeit er grundsätzlich vertrauen darf, die er jedoch auch dann befolgen muss, wenn sie nicht rechtmäßig sind.

Nach dem Soldatengesetz muss der Soldat (rechtmäßige wie rechtswidrige) Befehle nach besten Kräften, vollständig, gewissenhaft und unverzüglich ausführen. Die Pflicht zum Gehorsam entfällt nur dann, wenn die Ausführung des Befehls ihn in seiner Menschenwürde oder unzumutbar im Kern seiner übrigen Grundrechte verletzt, er Straftaten oder schwere Völkerrechtsverletzungen begehen würde oder wenn der Befehl überhaupt keinen dienstlichen Zweck verfolgt[10].

Dass ein Soldat auch Befehle befolgen muss, die rechtswidrig sind, liegt im System der Gefahrenabwehr begründet. Allen Notständen ist gemeinsam, dass die grundlegende Ordnung ernsthaft bedroht ist bzw. bereits nicht mehr besteht. Aus dem Grundsatz heraus, dass der Schutz höherrangiger Werte Eingriffe in geringer wertige Rechtsgüter rechtfertigt, sind die für den Normalbetrieb geltenden staatlichen Regelungen überall dort nachrangig, wo eine konkrete Gefahrenabwehr durch die Einhaltung der Norm nicht gewährleistet oder gar gefährdet wird. Diese Güterabwägung liegt in der Natur des Handelns von Sicherheitsorganen und ist auch jedem Einsatz der Feuerwehr oder des Notarztes eigen.

Hinzu kommt, dass der Befehl eine Rechtsnorm des Hoheitsträgers Bund darstellt, denen landesrechtliche Regelungen schon von Verfassung wegen nachgehen[11].

Aber auch gegenüber der Verletzung bundesrechtlicher Regelungen, auch von Vorschriften des eigenen Dienstherrn, hat die Befolgung eines verbindlichen Befehls Vorrang. Ein Soldat kann demzufolge wegen der Befolgung eines rechtswidrigen, aber verbindlichen Befehls weder ordnungsrechtlich noch disziplinar gemaßregelt werden.

Die Erwartung, dass sich die Streitkräfte im Einsatz an Ordnungsregeln und Vorschriften für den Friedens- und Grundbetrieb halten sollen, ist dem Gesetzgeber offensichtlich fremd.

Geradezu kontraproduktiv und im Kern die Grundsätze des Völkerrechts verletzend ist jedoch die Vorstellung, die deutsche Rechtsordnung wie selbstverständlich im Ausland, also auf dem Hoheitsgebiet eines fremden souveränen Staates zur Anwendung und Durchsetzung bringen zu sollen.

Das deutsche Umweltrecht, Baurecht, Verkehrs- und Ordnungsrecht gilt eben im Ausland nicht. Man kann sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass die Welt aus der Sicht der deutschen Ministerialbürokratie vielleicht besser „am deutschen Wesen genesen“ soll. Geradezu abstrus ist jedoch der Gedanke, die deutschen Streitkräfte zum Werkzeug eines solchen Denkens zu machen.

Gerade im Auslandseinsatz ist das Völkerrecht die alles umfassende Legitimationsgrundlage und der wesentliche Bestimmungsfaktor, gerade vom Blickwinkel eines derart dem Rechtsstaat verpflichteten Verfassungsstaates wie der Bundesrepublik Deutschland aus betrachtet.


 

Tödliche Gewalt und die Pflicht zur Tapferkeit

Die Frage, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen Streitkräfteangehörige befähigt sind, militärische Gewalt im Ausland einzusetzen, ist völker- wie verfassungsrechtlich beantwortet: Nämlich zur Verteidigung der deutschen Staatselemente Territorium, Gewalt und Volk sowie zur Herbeiführung und Sicherung des Friedens in Europa und zwischen den Völkern der Welt.

Dass das Maß der hierfür zulässigen militärischen Mittel sich daran bemisst, was aus militärischer Sicht für die Erreichung der politischen Ziele erforderlich ist, erscheint zunächst selbstverständlich.

In der Vergangenheit sahen sich die Streitkräfte jedoch regelmäßig der politischen Vorgabe ausgesetzt, sich bei der Anwendung von Gewalt auf die bloße Selbstverteidigung nach den Regeln des Notwehrrechts zu beschränken. Dies mag in Stabilisierungsoperationen, bei denen es im wesentlichen um die Wahrnehmung polizeiähnlicher Aufgaben im Stationierungsland geht, noch als angemessen angesehen werden.

Überall dort, wo die eingesetzte Truppe jedoch von tödlicher Gewalt bedroht ist, muss sie auch in der Lage sein, diese Bedrohung mit den entsprechenden militärischen Mitteln zu bekämpfen, was bedeutet, dass legitime militärische Ziele bereits bekämpft werden können, bevor sich die in ihnen liegende Gefahr tatsächlich realisiert.

Denn die Kernfrage jedes Einsatzes einer aus Bürgern bestehenden Armee wie der Bundeswehr lautet, welchen Rang das Leben eines deutschen Soldaten bei der Abwägung aller in Betracht zu ziehenden Güter einnimmt.

Staat und Soldat sind durch ein System gegenseitiger Treue miteinander verbunden[12].

Der Soldat ist als „Staatsbürger in Uniform“ im Besitz sämtlicher bürgerlichen Rechte, insbesondere auch der verfassungsmäßig garantierten Grundrechte. Einschränkungen in diese Rechte hat der Soldat nur hinzunehmen, solange und soweit seine Pflichterfüllung dies von ihm fordert[13].

Die Statusgruppe Soldat ist einzigartig in ihrer gesetzlich normierten Verpflichtung zur Tapferkeit, das heißt zur Inkaufnahme von Gefahren für Leib und Leben bis hin zur Möglichkeit der Preisgabe der eigenen physischen Existenz[14]. Dies schließt auch die immerwährende Pflicht ein, Kameraden in Not und Gefahr beizustehen[15].

So kann sich der Soldat bei der Bewertung strafbaren Verhaltens nicht darauf berufen, aus Furcht gehandelt zu haben oder um eine Gefahr von sich abzuwenden[16].

Demgegenüber ist der Dienstherr Garant für das Leben seiner Soldaten, was insbesondere in der vielfältig ausgeprägten Pflicht zur „Fürsorge“ zum Ausdruck kommt.

Unterlassene Dienstaufsicht von Vorgesetzten ist bei Eintritt einer schwerwiegenden Folge, wozu auch der Eintritt von Gefahren für Leib und Leben des Soldaten gehört, strafbar nach dem Wehrstrafgesetz[17].

Während die Sicherheit von Personal wie Material der Streitkräfte im Friedens- und Grundbetrieb allumfassend im Vordergrund steht, muss der Soldat die Eigengefährdung dort in Kauf nehmen, wo das Grundgesetz den Einsatz der Streitkräfte und damit die Anwendung militärischer Gewalt legitimiert.

Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Soldaten sind jedoch nur dann rechtmäßig und für diesen zumutbar, wenn dieser Eingriff dem Schutz gleich- oder höherrangiger Werte dient.

Dies folgt zwingend aus dem im Rechtsstaat immerwährend geltenden Prinzip der Verhältnismäßigkeit, welches für jede rechtmäßige Gewaltanwendung vorgibt, dass dem verletzten Rechtsgut ein mindestens gleichwertiges zu schützendes Rechtsgut gegenüberstehen muß.

Das im Rahmen einer militärischen Lagebeurteilung erforderliche Maß an militärischer Gewaltanwendung bemisst sich demnach nicht unwesentlich an der Bedrohungslage für die eigene Truppe. Nicht umsonst beschreiben die NATO-Richtlinien für die Herausgabe von Einsatzregeln für die Truppenführung den Grundsatz, dass das immerwährende Recht des militärischen Führers auf Selbstverteidigung seiner Einheit nicht eingeschränkt werden darf. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn es sich bei dem Einsatz um einen bewaffneten Konflikt handelt, bei dem der Gegner nicht nur in der Lage ist, militärisch zu operieren, sondern alle Vorteile des Geländes zu seinen Gunsten nutzen kann.

Folgerichtig rechtfertigt das geltende Völkerrecht im bewaffneten Konflikt nicht nur die Bekämpfung von legitimen militärischen Zielen, die sich noch im Stadium der Vorbereitung und Planung befinden, sondern legitimiert ausdrücklich auch die Inkaufnahme von kollateralen Schäden an geschützten Personen und Objekten, sofern diese nicht völlig außer Verhältnis zum erwarteten militärischen Vorteil stehen[18].

Die Abstellung auf den jeweiligen militärischen Vorteil ist hierbei der entscheidende Faktor: Streitkräfte sind ein Werkzeug zur Erreichung militärischer Ziele. Inbegriff militärischen Handelns ist es, den Gegner von vorneherein daran zu hindern, seine Möglichkeiten zu entfalten. Die überlegene Ausnutzung sämtlicher erlaubter Mittel und Methoden auf der Grundlage taktischer Überlegungen macht ja gerade die Kunst militärischer Operationsführung aus. Wer Soldaten in einen Einsatz entsendet, muß nicht nur den Willen haben, diese auch nach den ihnen eigenen Grundsätzen operieren zu lassen – es ist schlußendlich seine Pflicht!


 

Zusammenfassung

Zusammenfassend gilt es demnach, die Geltung nachfolgender Grundsätze festzuhalten, welche besagen, dass

  1. die Streitkräfte in Wahrnehmung ihres von der Verfassung vorgegeben Auftrages zur Verteidigung und Friedenswahrung nach den Vorgaben des Völkerrechts umfassend legitimiert sind, die hierfür erforderliche militärische Gewalt anzuwenden,
  2. die militärische Gewalt systemgemäß auch tödliche Gewalt mit umfasst,
  3. der Soldat im Einsatz stets als Träger rechtsstaatlich legitimierter Hoheitsgewalt und in Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols handelt, weshalb er dann aus dem System heraus auch im Sinne des Strafrechts rechtmäßig handelt,
  4. im Auslandseinsatz militärische Ziele regelmäßig bereits bekämpft werden dürfen, bevor sich das in ihnen liegende Schädigungspotential gegenwärtig zu realisieren droht,
  5. jedenfalls im bewaffneten Konflikt kollaterale Schäden an geschützten Gütern in Kauf genommen werden dürfen, sofern diese nicht völlig außer Verhältnis zu dem bei der Bekämpfung des legitimen militärischen Ziels erwarteten militärischen Erfolg stehen,
  6. der Soldat im Einsatz zwar zur Tapferkeit im Sinne der Inkaufnahme realer Gefahren für Leib und Leben verpflichtet ist, ihm dies jedoch nur zugemutet werden kann, wenn damit der Schutz dezidiert höherrangiger Werte erreicht werden soll,
  7. das gegenseitige Treueverhältnis von Staat und Soldat auch den Dienstherrn verpflichtet, das Leben seiner Soldaten soweit irgend möglich zu schützen,
  8. bei der Herausgabe von Einsatzregeln das Recht des Truppenführers auf Selbstverteidigung der Einheit nicht unzumutbar eingeschränkt werden darf,
  9. deutsches Recht mit Ausnahme des Dienstrechts im Einsatzland nicht gilt und Vorschriften zur Gefahrenabwehr nur insoweit zur Anwendung zu bringen sind, als sie die Auftragserfüllung der Truppe nicht behindern und
  10. der deutsche Soldat nach seinem ethischen Selbstverständnis auch bei der Anwendung von Gewalt stets und zuvorderst als „Verteidiger des Rechts“ handelt und erwarten kann, auch als solcher gewürdigt zu werden.

Der Autor ist Leitender Regierungsdirektor im Geschäftsbereich des BMVg.

Die Darstellung gibt ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.


 

Quellenagaben


[1] Art. 87a Abs1 Grundgesetz (GG) lautet: „Der Bund stellt Streitkräfte ur Verteidigung auf“.

[2] Bis zur Teilnahme an der VN-Operation UNOSOM im Jahr 1993 in Somalia war ein bewaffneter Einsatz deutscher Streitkräfte jedoch noch völlig außerhalb der Vorstellungskraft deutscher Politiker gewesen.

[3] Vgl. die sog. „Operation Libelle“ zur Evakuierung deutscher Staatsbürger, TIRANA Airport, 13.03.1997

[4] Siehe § 7 Soldatengesetz (SG)

[5] Vgl. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – 2 BvE 3/92 - vom 12. Juli 1994

[6] Diese Qualität haben derzeit nach herrschender Sicht die Vereinten Nationen, die NATO sowie die Europäische Union.

[7] Vgl. Artikel 87a Abs. 2 und Abs. 4 GG Ermächtigung zum Einsatz der Streitkräfte zur Abwehr drohender Gefahren für den Bestand des Bundes, eines Landes oder der freiheitlich demokratischen Grundordnung, wenn die Polizeien zur Abwehr nicht bzw. nicht mehr befähigt sind.

[8] Vgl. Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz) vom 18.03.2005

[9] Siehe Fußnote 5

[10] Vgl. § 11 SG

[11] Artikel 31 GG lautet: „Bundesrecht bricht Landesrecht“.

[12] § 1 Absatz 1 Satz 2 Soldatengesetz

[13] § 6 Soldatengesetz lautet: „Der Soldat hat die gleichen Staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger. Seine Rechte werden im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes durch seine gesetzlich begründeten Pflichten beschränkt“.

[14] Vgl. die Grundpflichten des Soldaten in § 7 Soldatengesetz

[15] Siehe § 12 Soldatengesetz

[16] § 6 Wehrstrafgesetz lautet: „Furcht vor persönlicher Gefahr entschuldigt eine Tat nicht, wenn die soldatische Pflicht verlangt, die Gefahr zu bestehen“.

[17] Vgl. § 41 Wehrstrafgesetz

[18] Vgl. Artikel 51 Absatz 5b Zusatzprotokoll  I zu den vier Genfer Abkommen von 1949;
Siehe auch: Einstellungsbeschluß der Generalbundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof 8/2010 vom 19.04.2010 hinsichtlich der am 04.09.2009 erfolgten Anforderung eines Luftschlages gegen Aufständische in der Nähe von Kunduz/Afghanistan durch einen deutschen Kommandeur