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Tödliche Gewalt und die Pflicht zur Tapferkeit

Die Frage, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen Streitkräfteangehörige befähigt sind, militärische Gewalt im Ausland einzusetzen, ist völker- wie verfassungsrechtlich beantwortet: Nämlich zur Verteidigung der deutschen Staatselemente Territorium, Gewalt und Volk sowie zur Herbeiführung und Sicherung des Friedens in Europa und zwischen den Völkern der Welt.

Dass das Maß der hierfür zulässigen militärischen Mittel sich daran bemisst, was aus militärischer Sicht für die Erreichung der politischen Ziele erforderlich ist, erscheint zunächst selbstverständlich.

In der Vergangenheit sahen sich die Streitkräfte jedoch regelmäßig der politischen Vorgabe ausgesetzt, sich bei der Anwendung von Gewalt auf die bloße Selbstverteidigung nach den Regeln des Notwehrrechts zu beschränken. Dies mag in Stabilisierungsoperationen, bei denen es im wesentlichen um die Wahrnehmung polizeiähnlicher Aufgaben im Stationierungsland geht, noch als angemessen angesehen werden.

Überall dort, wo die eingesetzte Truppe jedoch von tödlicher Gewalt bedroht ist, muss sie auch in der Lage sein, diese Bedrohung mit den entsprechenden militärischen Mitteln zu bekämpfen, was bedeutet, dass legitime militärische Ziele bereits bekämpft werden können, bevor sich die in ihnen liegende Gefahr tatsächlich realisiert.

Denn die Kernfrage jedes Einsatzes einer aus Bürgern bestehenden Armee wie der Bundeswehr lautet, welchen Rang das Leben eines deutschen Soldaten bei der Abwägung aller in Betracht zu ziehenden Güter einnimmt.

Staat und Soldat sind durch ein System gegenseitiger Treue miteinander verbunden[12].

Der Soldat ist als „Staatsbürger in Uniform“ im Besitz sämtlicher bürgerlichen Rechte, insbesondere auch der verfassungsmäßig garantierten Grundrechte. Einschränkungen in diese Rechte hat der Soldat nur hinzunehmen, solange und soweit seine Pflichterfüllung dies von ihm fordert[13].

Die Statusgruppe Soldat ist einzigartig in ihrer gesetzlich normierten Verpflichtung zur Tapferkeit, das heißt zur Inkaufnahme von Gefahren für Leib und Leben bis hin zur Möglichkeit der Preisgabe der eigenen physischen Existenz[14]. Dies schließt auch die immerwährende Pflicht ein, Kameraden in Not und Gefahr beizustehen[15].

So kann sich der Soldat bei der Bewertung strafbaren Verhaltens nicht darauf berufen, aus Furcht gehandelt zu haben oder um eine Gefahr von sich abzuwenden[16].

Demgegenüber ist der Dienstherr Garant für das Leben seiner Soldaten, was insbesondere in der vielfältig ausgeprägten Pflicht zur „Fürsorge“ zum Ausdruck kommt.

Unterlassene Dienstaufsicht von Vorgesetzten ist bei Eintritt einer schwerwiegenden Folge, wozu auch der Eintritt von Gefahren für Leib und Leben des Soldaten gehört, strafbar nach dem Wehrstrafgesetz[17].

Während die Sicherheit von Personal wie Material der Streitkräfte im Friedens- und Grundbetrieb allumfassend im Vordergrund steht, muss der Soldat die Eigengefährdung dort in Kauf nehmen, wo das Grundgesetz den Einsatz der Streitkräfte und damit die Anwendung militärischer Gewalt legitimiert.

Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Soldaten sind jedoch nur dann rechtmäßig und für diesen zumutbar, wenn dieser Eingriff dem Schutz gleich- oder höherrangiger Werte dient.

Dies folgt zwingend aus dem im Rechtsstaat immerwährend geltenden Prinzip der Verhältnismäßigkeit, welches für jede rechtmäßige Gewaltanwendung vorgibt, dass dem verletzten Rechtsgut ein mindestens gleichwertiges zu schützendes Rechtsgut gegenüberstehen muß.

Das im Rahmen einer militärischen Lagebeurteilung erforderliche Maß an militärischer Gewaltanwendung bemisst sich demnach nicht unwesentlich an der Bedrohungslage für die eigene Truppe. Nicht umsonst beschreiben die NATO-Richtlinien für die Herausgabe von Einsatzregeln für die Truppenführung den Grundsatz, dass das immerwährende Recht des militärischen Führers auf Selbstverteidigung seiner Einheit nicht eingeschränkt werden darf. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn es sich bei dem Einsatz um einen bewaffneten Konflikt handelt, bei dem der Gegner nicht nur in der Lage ist, militärisch zu operieren, sondern alle Vorteile des Geländes zu seinen Gunsten nutzen kann.

Folgerichtig rechtfertigt das geltende Völkerrecht im bewaffneten Konflikt nicht nur die Bekämpfung von legitimen militärischen Zielen, die sich noch im Stadium der Vorbereitung und Planung befinden, sondern legitimiert ausdrücklich auch die Inkaufnahme von kollateralen Schäden an geschützten Personen und Objekten, sofern diese nicht völlig außer Verhältnis zum erwarteten militärischen Vorteil stehen[18].

Die Abstellung auf den jeweiligen militärischen Vorteil ist hierbei der entscheidende Faktor: Streitkräfte sind ein Werkzeug zur Erreichung militärischer Ziele. Inbegriff militärischen Handelns ist es, den Gegner von vorneherein daran zu hindern, seine Möglichkeiten zu entfalten. Die überlegene Ausnutzung sämtlicher erlaubter Mittel und Methoden auf der Grundlage taktischer Überlegungen macht ja gerade die Kunst militärischer Operationsführung aus. Wer Soldaten in einen Einsatz entsendet, muß nicht nur den Willen haben, diese auch nach den ihnen eigenen Grundsätzen operieren zu lassen – es ist schlußendlich seine Pflicht!